Die alle fünf Jahre stattfindende Erhebung zur Sprache, Religion und Kultur (ESRK) des Bundesamts für Statistik (BFS) misst seit 2014 zwei Indikatoren der religiösen Praxis: den Besuch eines Gottesdienstes und die Häufigkeit des Betens. Die Ergebnisse der Erhebung 2019 zeigen, dass innerhalb von fünf Jahren der Besuch von Gottesdiensten in der Schweizer Bevölkerung generell abgenommen hat, dies insbesondere bei Personen von über 50 Jahren.
Teilnahme an Gottesdiensten niedriger als der Schweizer Durchschnitt
Betrachtet man die Ergebnisse der Umfrage 2019 für Personen muslimischen Glaubens, fällt auf, dass diese sich zwar im Durchschnitt als religiöser bezeichnen als Angehörige anderer Glaubensrichtungen, aber auch die Gruppe darstellen, die am seltensten an einem Gottesdienst teilnimmt. Wie aus der nachstehenden Grafik ersichtlich ist, liegt der nationale Durchschnitt der Personen, die nie einen Gottesdienst besuchen, bei etwa 34%, während fast 46% der Personen muslimischen Glaubens angaben, in den letzten 12 Monaten nie an einer gemeinsamen Feier teilgenommen zu haben.
Teilnahme an Gottesdiensten in den letzten zwölf Monaten, nach Religionszugehörigkeit
Dies lässt sich teilweise dadurch erklären, dass die wöchentliche kollektive Feier von Musliminnen und Muslimen am Freitag in der Mitte des Tages stattfindet (je nach Jahreszeit zwischen 12:15 und 13:45 Uhr). Es handelt sich also nicht um einen freien Tag und die Personen arbeiten häufig nicht in der Nähe eines Gotteshauses.
Umgekehrt, wenn man den wöchentlichen Besuch eines Gottesdienstes zwischen den Religionsgruppen vergleicht, stellt man diesmal fest, dass muslimische Personen über dem Schweizer Durchschnitt liegen und dass 13% von ihnen mindestens einmal pro Woche an einer gemeinsamen Feier teilnehmen, gegenüber 8,7% nationalen Durchschnitt. Musliminnen und Muslime sind auch die Konfessionsgruppe, in der der Unterschied zwischen der wöchentlichen Praxis von Männern und Frauen am signifikantesten ist: Während 18% der Männer angeben, mindestens einmal pro Woche einen Gottesdienst besucht zu haben, antworten nur 6% der Frauen in diesem Sinne. Dieser Unterschied lässt sich vor allem dadurch erklären, dass nach den meisten theologischen Strömungen die Teilnahme an der Predigt und am Freitagsgebet für Frauen zwar empfohlen, aber nicht verpflichtend ist.
Ein Trend zur Säkularisierung?
Die Umfrage untersuchte auch die Teilnahme an Gottesdiensten in der Kindheit. Die folgende Grafik zeigt einen deutlichen Rückgang der Teilnahme an religiösen Feiern der befragten Musliminnen und Muslime zwischen der Kindheit und 2019. Sie zeigt, dass nicht nur der Anteil der Musliminnen und Muslime, die ein- bis mehrmals pro Woche an einem Gottesdienst teilnahmen, von 23% auf 13% zurückging, sondern dass auch der Anteil derjenigen, die nie an einem Gottesdienst teilnahmen, von 33% auf 46% stieg.
Teilnahme an Gottesdiensten in der Kindheit verglichen mit der Teilnahme im Jahr 2019
Diese neue Tatsache kann auf zwei verschiedene Arten interpretiert werden. Zum einen kann sie darauf hindeuten, dass der Säkularisierungstrend auch für die gemeinschaftliche Praxis der muslimischen Bevölkerung gilt. Muslimische Frauen und Männer würden demnach ihre religiöse Zugehörigkeit individueller und losgelöster von den örtlichen religiösen Gemeinschaften zum Ausdruck bringen. Andererseits könnte dieser Rückgang auch auf die oft schwierige finanzielle und personelle Situation von Moscheevereinen sowie auf ihre schlechte örtliche Anbindung hinweisen, die die Ausübung der religiösen Praxis unter der Arbeitswoche oft erschwert.
Wie sieht es mit dem Gebet aus?
Die Praxis des Betens ist deutlich uneinheitlicher. Zwischen 2014 und 2019 ist die Zahl der Personen, die angeben, nie zu beten, gesunken. Von 40% im Jahr 2014 sind die Musliminnen und Muslime, die nie beten, auf 31% gesunken. Der Anteil der Personen, die angeben, mehrmals täglich oder (fast) täglich zu beten, blieb hingegen stabil bei etwa 30 %.
Häufigkeit des Betens in den letzten zwölf Monaten, nach Religionszugehörigkeit
Der Prozentsatz der Musliminnen und Muslime, die nie beten, entspricht damit in etwa dem Durchschnitt der anderen Glaubensgruppen (mit Ausnahme der Personen ohne Religionszugehörigkeit natürlich).
Ein Unterschied zwischen Männern und Frauen
Im Gegensatz zur kollektiven Praxis geben muslimische Frauen jedoch an, regelmässiger zu beten als muslimische Männer. Wie aus der folgenden Grafik hervorgeht, scheint die tägliche Gebetspraxis bei Frauen häufiger zu sein als bei Männern, wobei fast 35% der Frauen angeben, zwischen mehrmals täglich und (fast) täglich zu beten, während es bei den Männern nur etwa 27% sind.
Schlussfolgerung
Die Ergebnisse der ESRK zeigen, dass Musliminnen und Muslime entgegen einer weit verbreiteten Annahme ihre Religion mit einer vergleichbaren Regelmässigkeit praktizieren wie andere konfessionelle Gruppen in der Schweiz, insbesondere Katholikinnen und Katholiken, Angehörige anderer christlicher Gemeinschaften (insbesondere des orthodoxen Christentums) und Angehörige anderer Religionen (darunter Judentum, Buddhismus und Hinduismus). Sie gehören also weder zu den am meisten praktizierenden (Evangelikale) noch zu den am wenigsten praktizierenden (Konfessionslose und Protestanten). Sie teilen jedoch ähnliche Merkmale mit den Mitgliedern anderer Religionen mit Migrationshintergrund und dem Katholizismus, dessen Mitgliederschwund vor allem aufgrund der Zuwanderung aus Südeuropa (Italien, Spanien und Portugal) langsamer verläuft als der der Protestanten.
Einige Musliminnen und Muslime praktizieren ihre Religion sehr regelmässig und entsprechen einer gewissen Orthodoxie, die fünf Gebete pro Tag vorsieht. Andere beten nur einige Male pro Woche oder zu bestimmten rituellen Höhepunkten im Jahr (Ramadan, Feiertage, Hochzeiten, Beerdigungen), während die letzten nie Teil der individuellen oder kollektiven religiösen Praktiken sind.